Ein Leben ohne Wurzeln

April 2023 Zum Tode von Harry Belafonte

Heute früh habe ich geweint. Harry Belafonte, eine feste Größe meiner Kindheit, ist gestorben. „Island in the Sun“ ließ uns stets verträumt lächeln.

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Denn mein Vater war ein guatemaltekische Tropenwesen, das man nach dem Zweiten Weltkrieg in die kalte Schweiz verpflanzte. Wie muss es sich angefühlt haben, nach einer Kindheit voller Vulkane, bunter Blüten und freundlichem Klima im kalten Graubünden anzukommen? Nur zwei Tage Anreise und schon sind die Weiden voller fetter Kühe, die Wälder so grün, die Sprache so fremd.

Seine kurzen Fluchten nach Hause: Der Kinobesuch bei Harry Belafonte.

Den Harry-Belafonte-Film „Island in the Sun“ hat mein Vater in den Weihnachtsferien, die er allein in der Schweiz verbrachte, ganze dreimal angeschaut – einfach nur, um endlich wieder Sonne zu sehen. Als es ihn nach Schweizer Schulabschluss, der Matura, und dem Studium in Bern zurück in seine sonnige Heimat Guatemala zog, vermochte er dort nach all den Jahren im Exil nicht wieder Fuß zu fassen. Die Rückkehr nach Europa führte ihn nach Deutschland, wo er die nächsten 50 Jahre leben sollte. Und sich doch nie richtig zu Hause fühlte.

Ein Entwurzelter, der nie wieder Wurzeln schlug.

Mein Vater ist bereits vor zehn Jahren verstorben. Sein Geist lebt in mir weiter. Auch ich fühle mich nirgendwo so recht verwurzelt, will woanders meine Triebe pflanzen, sehne mich – ganz klischeehaft – nach dem „Island in the Sun“.

Ist das genetisch bedingt? Mein 16-jähriger Sohn schwärmt von gleißendem Sonnenlicht und Palmen in Neuseeland, als hätte er sich zuvor im kalten Hamburg wie Falschgeld gefühlt. Mein Mann hingegen, mit Wurzeln in Nordrhein-Westfalen und Wien, lebt ganz wunderbar mit nordeuropäischem Klima und Mentalität.

Kinderlose Freelancer „work from anywhere“. Auch Großfamilien umsegeln die Welt. Harry Belafonte weckt in mir meine tief verwurzelte Sehnsucht: Den nächsten Artikel schreibe ich vom anderen Ende der Welt.

Naja, vielleicht den übernächsten.

#harrybelafonte #fernweh #guatemala #workfromanywhere

Immer wieder berührend: The Island in the Sun.

Foto: WIX