Empathie für eine bessere Welt
- susanneschiffauer
- 1. Apr. 2024
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Apr. 2024

So lautet die Headline eines ZDF-Berichts zu dem Schulfach Empathie, das im kommenden Herbst in Frankreich eingeführt wird. „Sich umarmen, sich gegenseitig unterstützen, Mitgefühl zeigen – in Dänemark ist das ein Schulfach so wie Lesen, Schreiben, Rechnen“, lese ich in dem Newsletter des Fernsehsenders.
Was in skandinavischen Ländern bereits seit vielen Jahren zum Schulalltag gehört, gewinnt nun auch in Mitteleuropa an Relevanz.
Ich frage mich, wie es so weit kommen konnte, dass Kinder Empathie in der Schule „lernen“ müssen. Bekommen sie es nicht von klein auf vorgelebt? Ist es nicht Teil unserer menschlichen DNA, freundlich zu sein und sich in andere Menschen einzufühlen?
Die emotionale Lage in Deutschland: Verbesserungswürdig.
Zwei Fünftel der Deutschen beklagen einen groben Umgang. Fast 70 Prozent finden, die Menschen haben weniger Respekt voreinander. „Im Alltag fehlen oft Rücksicht und das Miteinander“, berichten Mitarbeiter des öffentlichen Diensts wie zum Beispiel Fahrer von Bus und Bahn.
Ich selbst freue mich schon jedes Mal, wenn wir uns auf der Straße mit einem freundlichen „Guten Tag“ – oder „Hej“ – begrüßen. In Schweden wurde hierfür sogar eine Kampagne ins Leben gerufen – als einfache Maßnahme gegen die Einsamkeit.
Die Reporter des ZDFs stellen Kampagnen vor, die in Deutschland für mehr Empathie und weniger Hassgefühl sorgen sollen. So gibt es in Wiesbaden eine Initiative gegen Hass und Hetze: „Hessen gegen Hetze“ heißt sie. Sieben Mitarbeiter arbeiten gegen den Hass im Internet. Ein Meldeverfahren schließt die Lücken, die entstehen, wenn Betroffene sich aus Angst nicht an die polizeilichen Behörden wenden. Und das ist meist der Fall.
Was hilft gegen Angst? Schöne gemeinsame Zeit, ein gesundes Miteinander.
Menschen zusammenbringen – in einer angstfreien Situation – das schafft einen besseren Umgang auch in der Stadt. Deshalb sind Veranstaltungen auch ein zentrales Element der Organisation „Magdeburger Kindness“, eine weitere Initiative für mehr Gemeinsamkeit.
Klar: Wer zusammen lacht, schlägt sich nicht. Wer positive Erlebnisse teilt, mobbt sich nicht.

In NRW gibt es das Projekt „Babywatching“, das Kinder in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung fördert. Das Präventionsprojekt B.A.S.E.® - „Baby-Beobachtung im Kindergarten und in der Schule gegen Aggression und Angst zur Förderung von Sensitivität und Empathie" wurde vom Münchner Bindungsforscher Prof Dr. med. Karl Heinz Brisch entwickelt. Ein Baby zu beobachten, hilft Schülern mit wenig Empathie, mehr Feinfühligkeit zu entwickeln.
Ich empfinde eine große Traurigkeit, dass sie diese Fähigkeit nicht zu Hause oder in ihrem näheren Umfeld erwerben durften – und gleichzeitig Freude darüber, dass diese verlorenen Kinder im Kontakt mit Babys wieder zurück zu ihrer eigenen Emotionalität finden. Weicher, aufmerksamer, empathischer werden.
Familienleben ist in der Regel das erste prägende Zusammensein, das Kinder erleben. Fallen hier Wärme, Zusammensein und das Gefühl von Zugehörigkeit weg, fehlt Menschen etwas Elementares, das sie zu empathischen Erwachsenen werden lässt. Und wie wichtig das ist! Denn:
Mit Empathie führen wir ein erfüllteres Leben.
Im letzten Winter entschieden wir uns für eine Auszeit in Neuseeland. Sie war getrieben von einer Sehnsucht nach dem Leben in einem anderen Land – wenigstens für eine kurze Zeit – und von der Sehnsucht nach einem freundlichen Umgang im Alltag. Wer sich nach Ruhe, Freundlichkeit und menschlicher Wärme sehnt, ist in dem kleinen Ozeanien gut aufgehoben.
Neuseeland ist der perfekte Ort, um zur Ruhe zu kommen. Hier gibt es vor allem von einem viel: Natur. Aber eben auch einen freundlicheren Umgang miteinander.
An der neuseeländischen Schule, die mein Sohn besuchen durfte, findet jeden Tag eine Stunde „Whanau“ statt, ausgesprochen Fa-nau. „Whanau“ – das ist das Maori-Wort für Großfamilie, die viel mehr als Verwandte umschließt, und ist von zentraler Bedeutung für die neuseeländische Gesellschaft.

Während einer täglichen halben Stunde Whanau-Zeit tauschen sich die Kinder aus, sprechen über alles und nichts, essen gemeinsam ihre Brotzeit, sind einfach zusammen. Mein Sohn beschreibt die Stunde als „gesellig“. Es passiert nichts Besonderes, es geht ums Miteinander mit der „Familie“. Es geht darum, sich zu "sehen".
Apropos: Wenn sich Neuseeländer mit „Kia Ora“ begrüßen, sagen sie mehr als „Hallo“ oder „Guten Tag“. „Kia Ora“ bedeutet viel mehr als das. Es bedeutet: „Ich sehe dich – und alles, was dich ausmacht, deine Wurzeln, deine Träume“. Man begrüßt die Essenz des anderen.
Ein roter Faden zieht sich durch das Leben der Neuseeländer: ein besonderes Gemeinschaftsgefühl genauso wie eine damit einhergehende großherzige Gastfreundschaft und Fürsorge füreinander.

So leiht die Schulleitung meinem Sohn an einem kühlen Tag ihren Pullover. Lehrer und Eltern erkundigen sich, ob er sich gut eingelebt habe. Auf dem Klavier, das im Flur steht, dürfen Schüler jederzeit spielen.
Vom ersten Tag an fühlte sich mein Sohn an der fernen Schule mehr als gut aufgehoben. In den Pausen scherzen alle Schüler miteinander.
Grüppchenbildung und gegenseitiges Ausschließen? Nicht auf dem Schulhof der kleinen Insel-Highschool.
Wärme, Fürsorge und gegenseitige Aufmerksamkeit führen zu mehr Glücksgefühl und Empathie.
Sind Neuseeländer empathischer, weil sie glücklicher sind? frage ich mich und schlussfolgere: Aus freundlichen Kindern werden freundliche Erwachsene. Und Freundlichkeit macht glücklich.
Freundlichkeit lässt uns weniger einsam fühlen.
Kann es wirklich so einfach sein? Vielleicht nicht. Denn Glück ist vielschichtig.
Vielen Kindern und Erwachsenen scheint die Fähigkeit, sich glücklich zu fühlen, verloren gegangen zu sein. Zu viel beschäftigen wir uns mit dem vermeintlichen Erfolg und Ruhm und der dekorativen Hülle unserer Mitmenschen.
Der Content der Social-Media-Kanäle suggeriert uns überwältigende Perfektion der Leben anderer, verkauft uns unrealistische Träume, müllt unsere Hirne und Herzen mit unnützen Informationen zu, die uns vom wesentlichen Ablenken.
Konsum statt Community. Äußere Schönheit und nach außen getragener Erfolg werden zur harten Währung.
Die Profiteure sind Konzerne, wenn sogar schon kleine Mädchen immer neuen Schönheitsidealen nacheifern, gelockt von Social-Media-gepushten Trends wie die Beauty-Programme von „Sephora Kids“.

Verlierer sind die Kinder, aber auch wir erwachsene Menschen, wenn wir unsere Herzen mit den falschen Inhalten aufzufüllen versuchen. Unzufriedenheit und Neid entfernen uns immer weiter von Glück und damit von einem wohlwollenden Blick auf unsere Mitmenschen.
Ein positiver Kreislauf von liebevollem Umgang miteinander und sich selbst führt automatisch zu mehr positiven Gefühlen und damit automatisch auch Empathie. Und – siehe da – ein empathischer Umgang miteinander macht uns Menschen auch schlicht glücklicher.
Übrigens ist dies auch das Thema meines Kinderbuches „Drei Hopser ins Glück“. Der kleine Oliver sucht unbewusst nach der Antwort auf die Frage, was uns im Leben mehr Mut und Zuversicht gibt.

Über den klugen Hasen Lykka lernt er drei kleine, aber wirkungsvolle Schlüssel zum Glück kennen. Es sei verraten:
Gemeinsam verbrachte Zeit und ein liebevoller Umgang miteinander sind ein einfaches, aber wirkungsvolles Glücksgeheimnis.
Das ZDF schließt den Bericht „Zurück zur Freundlichkeit“ mit der klaren Botschaft, wie wichtig es ist, uns in andere einfühlen zu können. Hass ist keine Meinung, Aggression keine Lösung. Empathie ist elementar für jede Gesellschaft.
PS
Mitgefühl heißt auf Englisch übrigens „sympathy“.
Wie sympathisch!
Quellen:
Leben und Erziehen https://www.khbrisch.de/zur-person.html inSANNIty Hej - Eine einfache Maßnahme gegen die Einsamkeit
Foto Together: Nicole Baster via Unsplash Foto Badewanne: Anthony Tran via Unsplash Foto Wand: Clay Banks via Unsplash
Foto Luftballons Sonnenuntergang: Catalon Pop Noyd via Unsplash
Foto Highschool Neuseeland: Sanni Schiffauer
Foto Bücher Drei Hopser ins Glück: Sanni Schiffauer

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